Rettung bei jedem Wetter
Kalte Luft und starker Wind wehen um die Ohren. Es ist bereits dunkel. Normalerweise würde man sich bei solch einem Wetter nicht draussen aufhalten. Die Retter und Retterinnen der Alpinen Rettung Schweiz schon. Aufwendige Rettungsaktionen bei schlechtem Wetter sind nämlich ihr Spezialgebiet.
«Wir kommen vor allem dann zum Einsatz, wenn die Rega nicht fliegen kann», erklärt Ernst Gabriel, Rettungschef der Station Chur. Alle Retter und Retterinnen der Alpinen Rettung sind Freiwillige und engagieren sich ehrenamtlich. Die Organisation erstreckt sich über das ganze Land, eingeteilt in verschiedene Regionalvereine.
Diese wiederum teilen sich über mehrere Stationen in ihrem Gebiet auf. Jede dieser Rettungsstationen gehört zu einer SAC-Sektion, Chur beispielsweise zur Sektion Rätia. Das ist nur eine von 27 Stationen in Graubünden. So weit es geht, fährt die Alpine Rettung mit dem Auto. Den Rest gehen sie zu Fuss.
An diesem Montagabend bei dem ungemütlichen Wetter findet die monatliche Rettungsübung auf einer Baustelle in Domat/Ems statt. Was hat denn eine Baustelle mit der Alpinen Rettung zu tun? Der Notruf lautet: Die Kranführerin ist im Kranturm, auf dem Weg nach oben, von der Leiter gestürzt und auf einem Zwischenpodest zu liegen gekommen. Sie klagt über Rückenschmerzen und hat sich den Kopf gestossen. Diesen Rettungseinsatz hätten wohl viele der Feuerwehr zugeteilt, doch auch solche Notrufe gehören ins Aufgabengebiet der Alpinen Rettung. Die Retter sind nämlich auch für technischen Rettungen ausgebildet. Das heisst Rettungen mittels Abseilen, Seilbahn und anderen Installationen. Diese können in den verschiedensten Fällen angewendet werden. Retterin Roberta spielt während dieser Übung das Opfer und hat sich bereits in der oberen Hälfte des Kranturms positioniert. Eine kleine Lampe, die zur Markierung ihrer Position am Kran befestigt wurde, ist bis zum Ende der Übung alles, was man von Roberta sieht.
Das Szenario war bis zu diesem Abend, ausser für die beiden Leiter der Übung, noch unbekannt für die Gruppe. «Das machen wir immer so. Es soll so echt wie möglich sein, damit wir wie in einem Ernstfall vorgehen können», verrät einer der Leiter. Die Gruppe versammelt sich im Kreis. Ein Einsatzleiter wird bestimmt. Dieser koordiniert nun den Vorgang für die Rettungsaktion. Auch der Bauleiter der Baustelle ist vor Ort, um Informationen über den Kran bekannt zu geben. Denn bevor die Retter loslegen können, ist es wichtig, dass die Unfallstelle gesichert ist und sie ohne Bedenken loslegen können.
Es folgt eine Reihe von Anweisungen. Dann rüsten sich die Retter entsprechend aus. Karabiner um Karabiner. Klick. Klack. Ein paar Seile über die Schultern und eine Lampe an den Helm. Startklar. Eine Rettungsbahre wurde in der Zwischenzeit auch zusammengebaut und wird nun mit weiterem Material zum Kran getragen.
Ein Teil der Rettungsgruppe befindet sich schon längst im Kranturm bei der verletzten Kranführerin und gibt per Funk den Lagebericht durch. Jede Durchsage wird vom Empfänger wiederholt, um sicher zu gehen, dass alles korrekt verstanden wurde. Das klingt dann so:
Die Installation von einem Seilzug am Kran beginnt. «Achtung Seil», hört man einige Male und sieht es dann von oben runter fliegen. Ziel ist es, die Verletzte mit der Bahre an der Aussenseite des Kranturms runter zu lassen. Dies in Begleitung des sogenannten Bahrenbegleiters oder Begleiterin. So wird verhindert, dass die geborgene Person während des Abseilens gegen Hindernisse stösst.
Im Team der Station Chur sind 25 Retter und Retterinnen dabei. Ihr Gebiet erstreckt sich von Fläsch über Tamins, Bonaduz und Brambrüesch bis fast nach Tiefencastel. Eine wichtige Voraussetzung für die Retter und Retterinnen ist daher, dass sie ihr Gebiet kennen. Weiter ist es von Bedeutung, dass sie aktive Berggänger und Berggängerinnen und sicher im Skifahren und Klettern sind. Dies sorgt für Sicherheit im Gebirge, was für die Rettungseinsätze oberste Priorität hat. «Die meisten von uns sind ‘normale Retter’ wie ich sie nenne. Es gibt aber auch Fachausbildungen», erklärt Rettungschef Ernst Gabriel vor der Übung. Die Fachausbildungen können in verschiedenen Bereichen wie beispielsweise in Medizin, Helikopter oder Hundeführung gemacht werden. Zu den Fachleuten in ihrer Organisation würden auch ein Arzt und ein Rettungssanitäter gehören.
Im Durchschnitt hat die Rettungsstation Chur jährlich 12 bis 15 Einsätze. Einige im Winter, viele aber auch im Sommer. Sei es eine präventive Suchaktion nach einer Lawine oder die Rettung an einer Felswand, die Alpine Rettung ist stets zur Stelle.
«Wir kommen jetzt runter. Langsam Seil geben», hört man inzwischen durch eines der Funkgeräte. Zwei Retter unten am Kran folgen der Anweisung. Da dauert es keine fünf Minuten mehr, bis der Bahrenbegleiter mit dem Übungsopfer langsam wieder den festen Boden berührt.
«Die Motivation liegt darin, dass es einfach ein dankbarer Job ist anderen zu helfen, zudem lernt man vieles für sich und das Leben.», offenbart der Rettungschef, trotz kalter Luft und starkem Wind, mit einem Lächeln im Gesicht.