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Wege machen

Mit Herzhacke und Arbeitshosen auf den Aroser Wanderwegen

Es ist noch frisch an jenem frühen Mittwochmorgen. Auf fast 2000 Meter über Meer kein Wunder. An einigen Gräsern klebt schon oder noch der Frost. Es herbstet. Das merkt man hier ob Arosa. Kurz nach dem Schwellisee parkiert Nadja Loretz das Auto. Im Hintergrund rauscht der Fluss. Ansonsten legt die Sonne still ihr Licht auf die Berge. Sanft geht Grün in Grau über. Ausser ein paar Vögeln und einem Murmeltier pfeift sonst nur der Wind. «Wir sind eigentlich jeden Tag draussen», sagt die Frau, welche in Arbeitshose und Funktionsjacke gekleidet ist. Mit wir meint sie auch ihren Kollegen Andy Heilmann, der am Hang als oranger Punkt ersichtlich ist. Langsam nähert er sich auf seinem Mountainbike. Neben einem grossen Felsen legt er es ab. Leichtfüssig und mit kurzen Hosen kommt der Wegmacher auf uns zu und begrüsst mit einem kräftigen Händedruck. Er ist braungebrannt, das Gesicht erzählt viele Berggeschichten.

Zusammen pflegen die beiden die rund 350 Kilometer Wanderwege auf Aroser Gemeindegebiet. Unterstützt werden sie in Langwies von zwei Pensionären und im Tal von einem Mitarbeiter des Forstbetriebs. «Hast du Güsel mitgebracht?», fragt Nadja Loretz in breitem Urner Dialekt und nickt in Richtung von Andy Heilmanns Hand. «Ja. Wie immer», meint dieser mit Zürcher Dialekt und zuckt mit den Schultern. Es folgt ein kurzer Austausch. Arbeitsplanung. Dann gehen sie los und folgen einem Weg, der den Berg hochführt.

Andy Heilmann zeigt auf einen Graben, der rechts vom Wanderweg hinab führt. «Jetzt ist der Graben fast zu. Das Wasser hat jahrelange Arbeit geleistet. Wir haben immer wieder Steine und anderes Material reingeworfen, um hier wieder aufzufüllen», kommentiert er. Das sei wichtig. Für die Natur und die Menschen, die sich darin bewegen. Auch alte Wanderwege, die nicht mehr begangen werden, würden wieder aufgefüllt. «Renaturiert», erklärt Nadja Loretz. Sie seien bemüht, die Menschen auf den offiziellen Wanderwegen zu kanalisieren. «Sonst entstehen sofort neue Wege. Einer, dann zwei und irgendwann führen acht Wege den Hang hinunter», sagt sie. Das schade der Natur.

Einer Natur, die wild und rau ist. Auch das bekommen die Wegmacherin und der Wegmacher zu spüren. Intensiv. Nadja Loretz zeigt auf ihrem Handy Bilder von einem Unwetter, das kürzlich im Gebiet wütete. «Die Schäden waren massiv. Es hat Brücken weggerissen, ein ganzes Bachbett ausgewaschen, tiefe Furchen in die Landschaft gezogen», sagt sie. Ihr Kollege nickt und erinnert sich. Sie unterhalten sich auf dem Weg zurück zum Auto. Über tierische und menschliche Begegnungen. Man komme viel in Kontakt mit Wandernden. Und oft würden schöne Gespräche entstehen. Bei den Tieren habe oft nur Andy Heilmann Glück. «Ich sehe nur Murmeltiere. Einen Steinbock oder eine Gams habe ich noch nie entdeckt», meint Nadja Loretz. Andy Heilmann grinst. «Ich habe gestern eine ganze Herde Gämse gesehen», meint er. «Eben. Ich glaube, es liegt an mir», antwortet sie und lacht.

Zurück beim Auto schultern sie Herzhacke und Materialtasche. Schnellen Schrittes schlagen sie einen anderen Weg ein. Noch immer ist es früh und frisch. Der Hörnli-Express ist trotzdem schon in Bewegung. Genau so die beiden vor uns. Mit den Füssen kicken sie lose Steine vom Weg, mit der Herzhacke räumen sie Material weg. «Das machen wir eigentlich immer. Wegpflege», meint Andy Heilmann. Stolperfallen aus dem Weg räumen und die Regenrinnen freimachen. «Das ist sicherheitsrelevant», erklärt er. Es knirscht und knackt. Es raschelt und klackt. «Das Material, was wir hier rausholen, können wir andernorts wieder zum Auffüllen brauchen», erklärt Nadja Loretz. Was ihnen an ihrem Job am meisten gefalle, wollen wir wissen. Beide überlegen kurz. «Dass wir so viel draussen und unterwegs sind», meint sie. Und er ergänzt: «Und dass man kreativ sein kann.» Kreativ? Andy Heilmann nickt. «Besonders beim Weganlegen. Dafür muss man ein Auge haben. Ein Gespür, wo sich ein Weg am besten ins Gelände einfügt.» Er sei schon mit Leuten unterwegs gewesen, denen hätte dieser Blick gefehlt. Dazu komme, dass man in ihrem Job auch fit sein und handwerkliches Geschick mitbringen müsse.

Für beide Wegbereitenden ist es ein Traumjob. Und dennoch. Etwas mögen sowohl sie als auch er nicht. «Regen», meinen sie unisono. «Trotzdem ist es gut, wenn es manchmal regnet. So sehen wir, wo das Wasser hinfliesst. Und können kontrollieren, ob wir unsere Arbeit gut gemacht haben», erklärt der Bergfreund. «Dong, Dong», macht die Herzhacke, als sie auf die Steine trifft. Nadja Loretz und Andy Heilmann unterhalten sich. Tauschen sich aus. «Letzte Woche waren viele Wanderinnen und Wanderer unterwegs», meint Andy Heilmann. «Und Bikende», ergänzt Nadja Loretz. Oft seien die Tage genau so lang wie die Wege. Ein typischer Arbeitstag gäbe es eigentlich nicht. «Wir müssen einfach schauen, dass die Wanderwege gut ‘zwäg’ sind», erklärt Andy Heilmann. Da komme auch viel Unvorhergesehenes.

An jenem Mittwochmorgen begegnet das Duo keinen Überraschungen. Die Sonne schafft es langsam auch über die letzten Bergspitzen. Vor uns liegt der Älplisee. Im Moment eher ein trauriges Schauspiel. Die Gipfel spiegeln sich nur noch in wenig Wasser. «Das ist immer so, wenn es gegen Herbst geht», weiss Andy Heilmann. Nadja Loretz bückt sich. «Papierli», ruft sie triumphierend. Ein Kassenbon vom Coop. «Warum auch immer man das hier braucht», meint ihr Kollege. Die Sonne zeichnet über dem Älpliseehorn ihre schönste Sternenform und wärmt Boden und Gemüter.

Wenige Meter weiter zeigt Nadja Loretz auf einen Wegweiser. «Den haben wir erst kürzlich gesetzt», sagt sie. Und beim Näherkommen: «Und schon ist er dreckig.» Mit ein bisschen Spucke poliert sie den Flecken weg, bis das Schild wieder gelb glänzt. Auch im Herbst hätten die beiden noch alle Hände voll zu tun. Im Winter dann arbeitet Andy Heilmann als Skilehrer. Und Nadja Loretz vermehrt im Büro. «Da gibt es meist auch genug zu tun. Letztes Jahr zum Beispiel haben wir eine neue Wanderkarte, zusammen mit Arosa Tourismus, veröffentlicht. Dazu kommt auch, Bewilligungen einzuholen», erklärt sie. Je näher der Bürostuhl und der Schnee rücken, desto mehr geniessen die beiden die Arbeit. Draussen. Auf, an und mit den Wanderwegen. Mit allem, was ihnen dort so begegnet.

Die Bündner Wanderwege

Über 11 000 Kilometer signalisierte und gepflegte Wanderwege erschliessen die vielfältige Landschaft Graubündens. Eine Auswahl zu treffen, ist dementsprechend schwierig. Graubünden Ferien hat es dennoch getan. Hier die Vorschläge:

Für Ursprüngliche: Wanderung zur Quelle des Rheins.

Für Naturbegeistere: über die unberührte Greina-Ebene.

Für Kulturfans: auf den Spuren der Säumer auf der Via Spluga.

Für Familien: entlang der Bahnschienen der Albulalinie.

Für Rangerinnen und Ranger: durch den Schweizerischen Nationalpark zu den Macun-Seen.

Für Fotobegeisterte: Malerische Tour zu den Jöriseen.

Für Entdeckungsfreudige: zur Alp Flix, der Schatzinsel der Artenvielfalt.

Für Genussmenschen: aussichtsreicher Panoramaweg im Oberengadin.

Für Wasserratten: zu Fuss durch die Rheinschlucht.

Für Schatzsuchende: durchs Strahlergebiet zum Hexensee.

Alle Wanderwege sowie weiteres Nützliches unter www.wanderwege-graubünden.ch.