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Von Molok zu Molok

Auf Abfalltour durch die Strassen von Chur

«Von Tonne zu Tonne eilen. Und dem Müll eine Abfuhr erteilen.» Was der Deutsche Komiker und Wortakrobat Heinz Erhardt einst dichtete, gilt heute noch. Die Abfallberge häufen sich. Auch in Chur. Aber die Stadt nimmt den Kampf auf. Gegen Littering. So sollen zwei spezielle Anti-Littering-Botschafter dabei helfen, dass der weggeworfene Müll nicht überhandnimmt. Und sie kommen stattlich daher. Haben je acht grosse Räder und sind mindestens 15 Tonnen schwer. Die «Bündner Woche» begibt sich auf Abfalltour. Der eingangs erwähnte Reim wird zur Realität.

Es ist Dienstag, 9.30 Uhr, im Grün und Werkbetrieb in Chur. Haris und Robert kommen um die Ecke. Sie stellen sich mit Vornamen vor und werden nachfolgend auch so genannt. Ihr orangefarbenes Gewand leuchtet im Tageslicht. Haris ist heute der Chauffeur. Und Robert ist der Lader. Jener, der beim Kehrichtwagen hinten mitfährt. Er wird von Haris Röbeli genannt. Chauffeur und Lader machen sich auf den Weg. Im grössten der insgesamt vier Kehrichtwagen, die für die Stadt Chur im Einsatz sind. Die Abfalltour führt in Richtung Rheinstrasse. Haris manövriert den Mehrtönner neben den Molok an der Ecke Rhein-/Ringstrasse. Und Robert wendet sich sogleich dem Müll zu. Mit einem Kransystem wird der grosse Sack mit dem Kehricht sorgfältig aus dem Abfallsammelbehälter herausgehoben und über den offenen Kehrichtwagen befördert. Ein unangenehmer Geruch breitet sich aus. Die Blache tropft und lässt weisse Maden erkennen. Um dem entgegenzuwirken, werden die Blachen einmal wöchentlich im Werkbetrieb gereinigt. Das wäre teilweise vermeidbar. Dann, wenn der Churersack sorgfältiger verschlossen, der Inhalt ein bisschen besser überdenkt und kein loser Abfall offen im Molok entsorgt würde. So oder so. Der Müll verschwindet im Wagen.   

Es geht weiter. Im Gleichtakt. Von Molok zu Molok. Haris sitzt am Steuer. Robert leert den Müll. Er zieht an seinem braunen Stumpen. «So rieche ich den Abfall weniger», verrät er und schmunzelt. Der Kehrichtwagen füllt sich. Und um 10.15 Uhr ist er voll. Es geht nach Trimmis in die Verbrennungsanlage Gevag. Während der Fahrt bleibt Zeit für einen Schwatz. «Rund 13 Tonnen Abfall gehen in diesen Lastwagen rein», betont Chauffeur Haris. «Zweimal am Tag bringen wir den Müll zur Kehrichtverwertungsanlage nach Trimmis.» Haris arbeitet seit eineinhalb Jahren als Chauffeur. Und Robert kann auf 45 Jahre beim Werkbetrieb zurückblicken. In zwei Jahren wird er pensioniert. «Es wird Zeit», sagt er und schaut auf die Strasse. Bei der Gevag geht es über die Waage und dann zu Tor 3. Haris wendet den Wagen, lässt ihn ein wenig anheben und öffnet die hintere Türe. Das Tor geht auf und der Müll verschwindet sogleich dahinter. Wie in einer Höhle. In der Rückfahrkamera des Lastwagens sieht das ein bisschen unheimlich aus. Fast, wie wenn ein riesengrosses Maul alles verschlingen würde. Robert wischt kurz den Boden. Fertig. Wieder geht es über die Waage. Diesmal mit einem deutlich leichteren Fahrzeug. Haris zeigt auf den Zettel. 32 480 Kilogramm bei der Einfahrt. Und 17 780 Kilogramm bei der Ausfahrt. «Wir haben exakt 14,7 Tonnen Brennstoff für die Kehrichtverbrennungsanlage entsorgt», rechnet er vor und lacht. Es geht über die Autobahn zurück nach Chur. Nochmals Zeit für einen Schwatz. «Pro Woche werden 150 Tonnen Kehricht entsorgt», sagt Haris und steuert in Richtung Werkhof. Die Multisammelstelle wird übrigens jährlich von 170 000 Menschen besucht. So oder so. «Leider wertschätzen viele Leute unsere Arbeit nicht», bedauern Haris und Robert. Viele denken, der Chauffeur und der Lader arbeiten zu wenig. Sie seien schon fotografiert worden, als sie Pause gemacht hätten, sagen die beiden und zucken mit den Schultern. Dann verschwinden Haris und Röbeli um die Ecke. Die nächste Tour wartet.

«Wir bewirtschaften über 400 Abfallbehälter auf dem Platz Chur», betont Reto Gruber, Leiter Grün und Werkbetrieb, später gegenüber der «Bündner Woche». Dazu kommen rund 400 Moloks für die Entsorgung von Kehricht, Glas und Büchsen/Dosen. Und neu stehen an sogenannten Hotspots – unter anderem am Rhein, im Fürstenwald, auf der Quaderwiese, im Fontanapark – grosse 360-Liter-Behälter. «Damit möchten wir die Leute sensibilisieren, die Umwelt sauber zu halten», so Reto Gruber. So oder so. Längst nicht alle Menschen begehen Littering. Dennoch. Schweizweit macht das Littering rund fünf Prozent des Reinigungsaufwandes aus. Bei einem Aufwand von rund 1,8 Millionen Franken pro Jahr in Chur ergibt das einen ansehnlichen Betrag. Und wo in Chur gibt es am meisten Littering? «Im Welschdörfli», betont Reto Gruber. «Aber auch in der Altstadt, der Bahnhofstrasse, am Bahnhof und in Parks.» An diesen Hotspots reinigen drei Personen mit drei Fahrzeugen jedes Wochenende von 5.30 bis 8.00 Uhr die Strassen. Chur setzt auf einen breiten Massnahmenkatalog, damit Littering nicht überhandnimmt. Neben einer engen Zusammenarbeit mit Veranstaltern und einer dichten Entsorgungsinfrastruktur sorgen unermüdliche Aufräumarbeiten der Mitarbeitenden des Grün und Werkbetriebes nach unachtsamer Entsorgung wieder für Ordnung im Siedlungsgebiet und in Wäldern.

Zusätzlich werden jährliche Clean-Up-Days organisiert, an welchen Vereine, Schulen und Privatpersonen die verschiedenen Naherholungsgebiete vom achtlos weggeworfenen Abfall befreien. Auch jährliche Einsätze der Interessengemeinschaft für eine saubere Umwelt (IGSU) mit Antilittering-Botschafterinnen und -Botschaftern an Hotspots gehören ins Konzept. «Wir möchten nur eine saubere Stadt. Und nichts anderes», betont der Leiter Grün und Werkbetrieb. Ein Schritt in die richtige Richtung macht diesbezüglich das neue Abfallbewirtschaftungsgesetz, das seit Anfang des Jahres in Kraft ist. Dort wird unter anderem gefordert, dass bei Anlässen mit über 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmern Mehrwegartikel benutzt werden. «Es ist ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess», schliesst Reto Gruber. «Wir müssen alle Möglichkeiten in der Reinigung und in der Entsorgung immer wieder hinterfragen.» Wo fehlen Abfallkübel? Wo sind sie zu klein? Was können wir tun? Wir, und nicht nur die andern. Übrigens ist Littering ein Strafdelikt, das gebüsst werden kann. Gewusst? «Tuan ds Bewusstsi verbraita, nit dr Müll.» So steht es in grünen Lettern auf dem weissen Lastwagen geschrieben. «Hilf mit – für a suuberi Stadt.» Es ist ganz einfach. Littering? Nein danke.