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Unter der Oberfläche

Wie der Waldboden lebt und warum er grundlegend für einen gesunden Wald ist

Ein Waldspaziergang entspannt. Beglückt. Die Sonne bahnt sich ihren Weg durch die dichten Äste. Ein magisches Bild, an dem man sich kaum sattsehen mag. Mit Blick in Richtung der mächtigen Bäume, hoch zu ihren Kronen, kann die Seele atmen. Nach unten sieht man hingegen nur, wenn etwas gefährlich unter den Füssen knackst. Oder auf der Suche nach Bärlauch und Pilzen. Schade eigentlich. Denn der Waldboden ist ein vielseitiger Grund. Die Grundlage des Waldes, wenn man denn so will.

Es ist ein Mittwochnachmittag, an dem die Luft schon herrlich nach Frühling riecht. Stadtförster Toni Jäger und Jürg Hassler vom kantonalen Amt für Wald und Naturgefahren spazieren mit der «Büwo» durch den Fürstenwald, der so langsam aus seinem Winterschlaf erwacht. Die ersten Frühlingsblumen und das immergrüne Moos bieten wenige Farbkleckse auf dem sonst noch recht einheitlichen Braun der welken Blätter. Heute wollen wir den Blick bewusst nach unten richten. Und für das Unsichtbare schulen. «Ohne einen gesunden Waldboden wäre der Wald heute nicht so, wie er ist. Und könnte künftig auch nicht mehr so sein», erklärt Toni Jäger auf den ersten Metern. «Der Boden bestimmt, was an der Oberfläche wächst», pflichtet Jürg Hassler seinem Kollegen bei. Gesunde Böden seien die Grundvoraussetzung für die Nachhaltigkeit im Wald, schreibt auch die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in einem Merkblatt. Es sei ein Kreislauf. Ein Zusammenspiel zwischen lebenden Organismen und totem Gestein.

Der Boden bestimmt, was an der Oberfläche wächst

Wir verlassen den Forstweg und wagen uns hinein in den Wald. Zwischen die Bäume. Die beiden Experten unterhalten sich über ihr Fachgebiet. So, wie sie es wohl immer tun, wenn sie sich treffen. Unter ihren Füssen rascheln die Blätter. «Die grösste Biomasse im Wald liegt im Boden», meint Jürg Hassler. Tatsächlich dominiere das, was man nicht sehen könne. Die unzähligen Mikroorganismen, die unter der Oberfläche arbeiten. «Eine Handvoll Erde aus dem Wald beinhaltet mehr Lebewesen, als es auf der ganzen Welt Menschen gibt», so der Fachmann vom Kanton. Beeindruckend diese Anzahl. Und es gibt noch mehr Fakten über den Waldboden, die überzeugen. So zum Beispiel, dass im Humus rund 140 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar gespeichert sind. Etwa 20 Prozent mehr als die Kohlenstoffmenge, die die Bäume, von der Wurzel bis zur Krone, speichern. So schreibt es das WSL.

Der Waldboden habe vielseitige Funktionen, erklären Toni Jäger und Jürg Hassler, die Gesichter der Sonne zugewandt. So sei er zum Beispiel ein grosser Wasserspeicher. Gleichermassen Trinkwasserreservoir und Hochwasserschutz. Darüber hinaus lagere er aber auch Nährstoffe ein. Die Bodenlebewesen verwandeln Blätter, Nadeln, Äste und Wurzeln in Humus. Während dieses Prozesses werden wichtige Nährstoffe herausgelöst und wieder zur Verfügung gestellt. Auch aus dem abiotischen, also dem toten Material, werden im Boden Stoffe losgelöst. «Die Gesamtheit dieser Prozesse gewährleistet die grosse Fruchtbarkeit des Waldbodens», erklärt Jürg Hassler. «Das ist beeindruckend. Obwohl man den Waldboden nicht düngt, lebt er immer. Vielleicht etwas langsamer. Natürlicher. Aber er lebt», so Stadtförster Toni Jäger.

Für einen Zentimeter Boden braucht es rund 100 Jahre

Klingt ganz nach einem empfindlichen Ökosystem, das leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen ist. Toni Jäger und Jürg Hassler schütteln simultan die Köpfe. «Das kommt in der Tat sehr auf den Waldboden an. Dieser, auf dem wir stehen, ist relativ robust. Andere sind empfindlicher. So oder so muss man den Böden aber Sorge tragen», meinen die beiden. Und recht haben sie. Laut WSL entwickeln sich die meisten Waldböden in der Schweiz seit rund 10 000 bis 12 000 Jahren. Einen Zentimeter Waldboden zu bilden, kann bis zu 100 Jahre dauern. Die Ressource Boden sei deshalb auch nicht in menschlichen Zeitmassstäben erneuerbar, so das WSL.

Akut bedroht sei der Waldboden nicht. Da sind sich die beiden Experten einig. Aber sie stellen fest, dass sich vermehrt Stickstoff aus der Luft im Boden ablagere. Auch Feinstaub, Mikroplastik und Schwermetall würden im Boden gebunden werden. Dies mit dem Ergebnis, dass der Boden langsam versauere. «Das würde dann nicht nur den Waldboden beeinträchtigen, sondern die gesamte Biodiversität und ihre Funktionen», erklärt Jürg Hassler. Neben den Ablagerungen besteht beim Waldboden zudem die Gefahr der Verdichtung. Wird der Boden bei ungünstigen Bedingungen, zum Beispiel in Nässeperioden, mit schweren Maschinen befahren, kann das offene System, das Luft einschliesst, zusammenfallen.

«Aber eben. Es gibt nicht den einen Waldboden, sondern viele verschiedene», so Toni Jäger. Wichtig sei, dass man nichts im Wald zurücklasse. «Stichwort Littering», sagt er. Und wenn man sich mit gesundem Menschenverstand zwischen den Bäumen bewege, schade man dem Wald auch nicht. «Klar, wir könnten den Bogen weiter spannen. Alles, was Einfluss auf das Klima hat, hat auch Einfluss auf den Waldboden. Man kann dem Boden deshalb auch indirekt Sorge tragen», ergänzt Jürg Hassler.

Wir beenden unseren kurzen Spaziergang durch den Wald und über den Waldboden. Bewusst richten wir unsere Blicke auf dem Rückweg nach unten. «Wir Forstleute schauen tendenziell eher hoch. Aber eigentlich sieht man im Wald schon sehr viel, wenn man den Boden betrachtet. Er bestimmt, was oben wächst», so Toni Jäger. Es sei eigentlich sogar ein sehr schönes Bild. Besonders jetzt, wo der Frühling naht und es zu den Füssen langsam farbig wird. «Der Waldboden lebt», schliesst er seine Erzählungen.

In den Boden hören

Zugegeben. Es ist schwer vorstellbar, was im Boden geschieht, auf dem wir stehen. Mit Sounding Soil, einem Forschungs- und Kunstprojekt, ist es aber möglich, in den Boden zu lauschen. Neben Gekrabbel und Gekrieche sind mit den speziellen Sensoren auch verschiedene Kommunikationslaute und Fressgeräusche der Bodentiere zu hören. Ökoakustik heisst das relativ neue Forschungsgebiet, in dem die Geräusche aus dem Boden genutzt werden, um ökologische Beziehungen und Prozesse zu untersuchen. Wer wissen will, wie der Boden im eigenen Garten oder der Kompost auf dem Balkon klingt, kann bei der Stiftung «Biovision» kostenlos ein Bodenmikrofon bestellen und eine Woche lang den Boden belauschen. Noch dürfte es allerdings recht still sein. Sobald es wärmer wird, werden auch die Böden wieder lauter. Bis dahin kann man sich auf der Soundmap einen Eindruck verschaffen.

Infos und Soundmap: www.soundingsoil.ch

Tonaufnahme aus dem Waldboden
im Fürstenwald von Anfang März 2022
(von Cindy Ziegler)

Tonaufnahme aus dem Waldboden
eines Buchenwaldes bei Othmarsingen
(von Marcus Maeder)