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Schönheitsteiler

Marco Pereira ist mit Filmen von Landschaften äusserst erfolgreich auf Instagram und Tiktok – ein Gespräch über Schönheit, Unperfektes und der Lust am Machen

Der braun gebrannte Mann mit den Tattoos und dem gewinnenden Lächeln wartet schon auf dem Parkplatz ob dem Caumasee. In beiden Hosentaschen zeichnet sich je ein Handy ab. Es sind die ständigen Begleiter von Marco Pereira. Der 38-Jährige strahlt und begrüsst mit einem kräftigen Händedruck. Gemütlich wird Richtung Naturspektakel spaziert. Der Himmel ist wolkenverhangen, Regen liegt in der Luft. «Macht nichts», meint der Portugiese, der mit 13 Jahren nach Graubünden kam. «Bei schlechtem Wetter zeigen sich die Farben der Natur besser», weiss er. Warum die Farben für ihn wichtig sind, wird er später erklären.

Eines der Handys klingelt. Marco Pereira lässt es läuten. Der Blick streift durch den Wald neben dem Spazierweg. «Ich filme Landschaften. Und habe erst vor Kurzem mit Tiktok und Instagram angefangen», erzählt er. An sich ist das nichts Besonderes. Besonders ist aber die Zahl der Menschen, die Marco Pereira damit erreicht. Oder besser gesagt fast unglaublich. Über 2,2 Millionen sind es auf Instagram. Über 3,7 Millionen auf Tiktok. Zum Vergleich: Andri Ragettli folgen rund 522 000 Menschen auf Instagram. «Ehrlich gesagt, weiss ich auch nicht, wie ich das geschafft habe. Ich war am Anfang, als mein erstes Video viral ging, selbst total überrumpelt und überfordert», sagt er und zuckt mit den Schultern.

 

Dass das alles so gekommen ist, bezeichnet er als Zufall. «Ich koche und backe leidenschaftlich und habe das in den sozialen Medien geteilt. Irgendwie habe ich die Menschen damit aber nicht erreicht. Meine Freundin meinte dann, ich solle es doch mit Landschaften versuchen», erzählt er während des Gehens. Er habe schon immer Landschaften gefilmt. Sich schon immer von der Schönheit der Natur einnehmen lassen. «Es gibt Menschen, die schauen sich etwas an und denken ‘schön’ und gehen dann einfach weiter. Ich bin anders. Oft bin ich total fasziniert und zeige das auch», sagt Marco Pereira und lacht, sodass die kleine Lücke zwischen den Schneidezähnen sichtbar wird.

Und was ist für jemanden, für den Landschaften so viel bedeuten, der schönste Ort der Welt? Der 38-Jährige, der auf dem Bau arbeitet und mittlerweile im Kanton Zürich wohnt, muss nicht lange überlegen. «Das klingt vielleicht komisch. Aber wir in der Schweiz wissen gar nicht, wie schön es hier ist. Ich war schon in der Karibik. In Thailand. In New York. Das ist alles beeindruckend. Aber für mich ist die Schweiz voller schönster Orte.» Er erzählt. Vom Grün der Alpwiesen. Vom Blau der Seen. Vom Zauber der Naturfarben. Wir unterbrechen. Gibt es denn einen Ort, den er nicht mit der Welt teilen würde? Bei dieser Frage überlegt Marco Pereira lange. Und kommt während des Gesprächs immer wieder darauf zurück. «Vielleicht den Ort, wo ich als Kind in der Schweiz ankam und zum ersten Mal die Berge sah. In Scuol. Das ist für mich ein Herzensort. Den würde ich für mich behalten wollen.»

 

Mittlerweile sind wir beim Schräglift angekommen. Marco Pereira zuckt ein Handy. «Darf ich?», fragt er und nickt in Richtung Caumasee. Mit langsamen Bewegungen führt er das Handy vor und zurück. Dann wechselt er den Standort und die Perspektive. «Wenn ich filme, dann mache ich ganz viele Videos», erklärt er. Es mache süchtig. Das Filmen und das Posten auf Social Media. Seine Freundin begleite ihn oft auf seine Videotouren. Und manchmal sei sie auch genervt, wenn er viel und lange filme. «Wenn wir einen Ort zum allerersten Mal besuchen, lasse ich das Handy in der Hosentasche und geniesse es einfach. Ich weiss ja, dass ich ein anderes Mal zum Filmen wieder komme.» Er brauche sehr viel Speicherplatz. Ein Blick ins Handy zeigt: über 40 000 Bilder und über 15 000 Videos. «Ich habe einen Tick und lösche nichts. In meinen Ferien muss ich das gesammelte Material dringend sortieren», meint Marco Pereira und lächelt fast entschuldigend.

«Das sieht schön aus», kommentiert er, mehr für sich, als die Bahn die Station verlässt. Noch immer hängen Regenwolken in der Luft. «Ich mag das Unperfekte», erklärt er, während er abermals seinen Standort wechselt. «Mein beliebtestes Video mit über 208 Millionen Aufrufen ist auch an einem Tag entstanden, an dem das Wetter schlecht war. Die Menschen mögen Mystisches. Wenn sie nicht sicher sind, ob etwas schön oder unheimlich ist. Unperfektes halt.»

 

Und wie soll es weitergehen für den Schönheitsteiler? «Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es ist mir egal, wenn es mit Social Media nicht weiter geht. Für mich ist es eine Chance, von der Baustelle wegzukommen. Aber dafür muss ich mehr in der Hand haben. Im Moment würde ich meinen Job nicht künden. Ich bin sehr sicherheitsbedürftig», sagt er und steckt das Handy wieder in die Hosentasche. Ihm sei die Interaktion mit den Leuten wichtig, die seine Videos schauen. «Echte Interaktion», präzisiert er. Vom Kaufen von Followerinnen und Followern hält er entsprechend wenig. «Das sollte verboten werden», meint er denn auch. Es sei eine oberflächliche Welt, die Social-Media-Welt. Und trotzdem: «Es ist für mich eine tolle Möglichkeit, die Schönheit der Schweizer Landschaften mit der ganzen Welt zu teilen.» Mittlerweile wieder beim Parkplatz angekommen, beginnt es zu regnen. Unperfekt perfekt. Und passend zu Marco Pereira und seinen Aufnahmen. «Das zu erkennen möchte ich mir beibehalten», sagt er zum Abschied. Es geht nach Ems. Zum Znacht bei den Eltern.

Weitere Videos von Marco Pereira:
vm.tiktok.com/ZMLLdJfyN
www.instagram.com/swiss.beautiful_/