Feriengrüsse an die Daheimgebliebenen zu verschicken, ist beinahe so selbstverständlich, wie ein Gelato in Italien zu essen, im Mittelmeer zu baden oder endlich die vielen Bücher im Liegestuhl zu lesen, für die man zu Hause keine Zeit hatte. Schnell ein Foto mit der Handykamera geknipst. Ein bisschen Landschaft, ein bisschen Architektur, ein Selfie mit sonnengebräunten Gesichtern und einem breiten Lächeln. Zack per Whatsapp an Familie und Freunde verschickt. Mit einem Klick per Instagram geteilt. Oder aber, Sie kaufen sich am Kiosk in der kleinen Gasse eine Ansichtskarte. Kein Zack, kein Klick, nur analoges Grüssen. Zugegeben. Die Postkarten haben heuer einen nostalgischen Charakter. Dass das nicht immer so war und sie früher gar als schnelles Medium galten, zeigt ein Blick in die Vergangenheit.
Und den werfen wir im Staatsarchiv. Brigitte Aregger geht durch das grosse Sitzungszimmer im dritten Stock. In der Hand hält sie einen Stapel Karten mit schwarz-weissen Bildern darauf. Auf den Tischen, die im Raum verteilt sind, liegen viele andere dieser Karten. Die Archivarin sortiert die über 400 Bilder aus dem Nachlass des Fotogeschäfts Foto Gross in St. Gallen. Sie alle zeigen Chur zwischen 1930 und 1970. Zeigen die schöne Seite der Stadt. «Postkarten verschickt man meistens aus einer Situation, die nicht dem Alltag entspricht. Liebe Grüsse aus den Ferien oder ein Sich-zu-Hause-Melden. Der Platz zum Schreiben ist beschränkt. Und man erzählt auch deshalb fast nur das Schöne, was man in der Fremde erlebt», so Brigitte Aregger.
Wir reisen weiter zurück. Ins Ende des 19. Jahrhunderts. Es ist 1869, als die österreich-ungarische Post die bildlosen Korrespondezkarten einführt. Ein Jahr darauf folgten andere Länder, darunter auch die Schweiz. Die Korrespondenzkarte sei wie eine Art frühe SMS gewesen, meint Brigitte Aregger. In den grossen Städten wurde die Post damals mehrmals am Tag verteilt. Der beschränkte Platz auf der Korrespondenzkarte liess zwar keine lange Nachricht zu, dafür musste aber kein persönlicher Bote ausgesandt werden, um diese zu überbringen. Und das Verschicken der Karte kostete deutlich weniger als das Versenden eines Briefes. Zirka 1885 folgten Postkarten mit kleinen Bildmotiven und um 1890 die ersten Ansichtskarten. Ein Fotoapparat oder ein Telefon konnten sich damals übrigens nur sehr wenige Menschen leisten.
Die Zeit zwischen 1895 und 1914 wird als die Goldene Zeit der Ansichtskarte bezeichnet. Grund dafür ist unter anderem der enorme, wirtschaftliche Aufschwung in Europa, der sich auch stark auf den Tourismus in Graubünden auswirkte. Die rasche Weiterentwicklung der Drucktechnik ermöglichte es schon bald, Bilder in grösseren Auflagen zu drucken und zu günstigen Preisen zu vertreiben. Die Einführung der farbigen Offset-Karten um 1970 löste einen zweiten Postkarten-Boom aus. Dieser hielt bis etwa zur Jahrtausendwende an.
«Auffallend ist die Motivvielfalt», sagt Brigitte Aregger und zeigt auf die vielen Karten, die vor ihr ausgebreitet liegen. Chur von oben und von unten. Mit und ohne Berge. Den Blick in Richtung Schanfigg, in Richtung Calanda, ins Oberland, ins Rheintal. Detailaufnahmen und Übersichten. Die Archivarin blättert durch den Stapel in ihrer Hand. «Oft wurden noch Blumen oder Bäume im Bild festgehalten. Die Karten wurden so romantisiert. Übrigens ein Stilmittel, das noch heute gerne eingesetzt wird», sagt sie.
Durchgesetzt hätten sich aber auch Ansichten aus der Altstadt mit pittoresken Ecken und Fotos von oben über die Stadt und in die Berge. «Das Rheinquartier findet man übrigens auf fast keinen Postkarten. Und auch die Bilder von Militäranlagen und Spitälern sind verschwunden.» Jedes Jahrzehnt habe seine eigene Ästhetik – abhängig von den technischen Möglichkeiten. Die frühen Fotos in Schwarz-Weiss. Grelle und helle Farben in den 70er-Jahren. Fotos mit viel Licht und in Pastellfarben heute. «Aber immer mit stahlblauem Himmel», ergänzt die Expertin augenzwinkernd. Aus historischer Sicht seien die Postkarten aus verschiedenen Blickwinkeln interessant. Sie würden einerseits postalische Rückschlüsse zulassen und das Schaffen der Verlage dokumentieren. Andererseits könne man aus ihnen viel über die Gesellschaft herauslesen. Wie entwickeln sich Landschaften und welches Bild sollen Orte vermitteln?
«Wenn man dann noch geschriebene, gelaufene Postkarten hat, ist das sprachlich interessant, ermöglicht es aber auch, persönliche Vernetzungen zu verstehen», schwärmt Brigitte Aregger. «Es ‘hockt uh’ viel in diesen simplen Karten.» Vor allem aber seien sie auch haptisch und analog in ihrer Form vorhanden. «Das hat auch seinen Wert», meint die Archivarin. Sie selbst geniesse es daher manchmal, sich Zeit zu nehmen für ein paar liebe Worte. Von Hand geschrieben mit einem Stift auf einer Karte. An einem schönen Ort in der Fremde für die Daheimgebliebenen.