Skip to content

Morgenmelodie

Der Verein Vogelschutz Chur führt Bestandserhebungen durch

Es ist frühmorgens. Draussen wird es hell. Dieses Zusammenspiel gibt den Auftakt für ein Konzert aus mehrstimmigem Vogelgesang. Sechs Uhr in der Früh. Jürg Hosang wartet am Strassenrand bereits auf uns. Er ist ausgebildeter Feldornithologe und Ehrenmitglied des Vereins Vogelschutz Chur. Ausgerüstet mit Fernglas und Tablet werden wir empfangen. Gerüstet wofür? «Ich bin zuständig für die Bestandserhebung der Vogelarten hier im Lürlibadquartier», löst der ehemalige Heilpädagoge auf. Der Verein Vogelschutz Chur hat es sich in diesem Jahr erstmals zur Aufgabe gemacht, den Vogelbestand in der gesamten Stadt zu erheben. In verschiedene Gebiete unterteilt, machten sich im April einige Freiwillige an die Arbeit. Der Entschluss zu dieser grossflächigen Bestandserhebung ist die Reaktion des Vereins auf das Stadtentwicklungskonzept, welches die Stadt Chur im November vergangenen Jahres verabschiedete. Ein Konzept, in welchem der Erhalt und Aufbau von Grünflächen, Büschen und Bäumen nicht zu kurz kommen darf. Nicht nur für die Vögel, sondern für die gesamte Biodiversität der Stadt. «Die konkreten Zahlen und die Schlüsse, die man aus den Bestandserhebungen ziehen kann, sollen von den verantwortlichen Instanzen ernst genommen werden», liegt es dem Vereinspräsidenten Ueli Bühler am Herzen. Zudem zeigen die Zählungen auch auf, wo sich ökologische Hotspots befinden und wo man von ökologischen Wüsten in der Stadt sprechen muss.

Zurück ins Lürlibadquartier. Denn hier beginnen die Zählungen schon am Treffpunkt. Und diese funktionieren ganz anders, als man sich das vorstellt. Auf der Pirsch liegen und warten, bis man etwas zu sehen bekommt, funktioniert bei den Vögeln nämlich nicht. Hier ist das Gehör gefragt. Ornithologe Jürg Hosang bleibt stehen und lauscht. «Das sind Haussperlinge, also Spatzen. Die tragen wir gleich mal ein», erkennt er die Vögel nur an ihren Lauten und hebt das Tablet an, welches zuvor noch an einem Band um den Hals hing. Mit einem Stift wird der Standort der Spatzen möglichst genau markiert. Details wie Aktivität, Geschlecht, Alter oder Laute werden ebenfalls eingegeben. Mit dem Tablet und der entsprechenden App geht das heute einfacher. Es gäbe aber immer noch Kollegen und Kolleginnen im Verein, welche die Kartierungen von Hand betreiben. Es wird also alles, was Jürg Hosang in der App eingeben kann, von Hand notiert. Diese Daten werden nach Abschluss der Zählung direkt an die Vogelwarte Sempach gesendet, wo dann auch alles ausgewertet wird. Bei der ersten grossflächigen Bestandserhebung der Vogelarten im April konnten 45 Arten in Chur gezählt werden. Der Spatz ist mit 1416 Zählungen der Spitzenreiter. Gefolgt von der Amsel mit 390 Zählungen. Um die 120 Mal wurde die Strassentaube und die Mönchsgrasmücke kartiert. Einen Platz am Schluss der Liste findet unter anderen der Grünspecht. Er konnte nur ein einziges Mal gezählt werden.

Während die Spatzen kartiert werden, sind noch so einige andere Vögel zu hören. Für uns nicht auseinanderzuhalten. Für Jürg Hosang kein Problem. Wir gehen ein paar Schritte und bleiben dann wieder stehen. Wir hören einen Vogellaut, der oft mit einem Uhu verwechselt wird. «Das sind Ringeltauben. Es ist ein Pärchen», bringt der Ornithologe uns bei. Diese Kurzstreckenzieher kämen aus dem Mittelmeerraum und seien bereits im März hier zu hören. Der Bestand an Langstreckenziehern wie dem Gartenrotschwanz dagegen ist in der Schweiz seit längerer Zeit stark rückläufig. Die genauen Gründe dafür sind nicht restlos geklärt. Dass es aber ein Zusammenspiel aus vielen Faktoren ist, ist sicher. Einer der Faktoren ist der Mangel an Nistplätzen. Bevor ein Um- oder Neubau gestartet wird, sollte man die Gegend und das Haus analysieren. Darauf achten, ob und was für Lebensräume man zerstört. So kann beispielsweise für ein Nest in einem Häuserdach eine Alternative errichtet werden, sodass die gefiederten Bewohner nicht plötzlich ihr Heim verlieren. Dafür darf man auch den Verein Vogelschutz Chur konsultieren. In der Stadt Chur haben Lebensräume für Vögel und Insekten nur noch wenig Platz. So gibt es Vogelarten wie beispielsweise der Gartenrotschwanz, welche einen sehr anspruchsvollen Lebensraum verlangen, den es nur noch an wenigen Stellen gibt. Sie benötigen Bäume, am liebsten Obstbäume, und eine naturnahe magere Wiesenfläche. Diese Kombination lässt sich nur schwer finden. Gebäudebrüter hingegen, welche keine grossen Ansprüche an ihren Lebensraum haben, benötigen dennoch vielfältige Nahrung, die sie im Reich der Insekten finden. In unseren schön gepflegten und gestutzten Gärten fühlen sich diese aber leider nicht sonderlich wohl. Ein Teufelskreis. Die grössten natürlichen Feinde bleiben die Katzen. Gerade für Jungvögel sind sie eine grosse Bedrohung.

Wir gehen quer durch das ganze Quartier. Über Asphalt, Wiesen und Waldwege. Dabei fangen wir das eine oder andere Spinnennetz mit unserem Gesicht ein. Auch Jürg Hosang versucht sich die unsichtbaren Fäden von den Wangen zu streichen. Der Uhu ähnliche Laut ertönt wieder. «Gehört? Welcher Vogel ist das?», fragt der Ornithologe uns mit erwartungsvollem Ausdruck. Natürlich wissen wir die Antwort nun. Die Ringeltaube. Während der Kartierung ist sie immer wieder zu hören.

Die Tour endet im Garten von Jürg Hosang. Ihm ist es wichtig, dass er mit seinem Grünreich einen angenehmen Aufenthaltsort für Vögel bieten kann. Denn der Ornithologe weiss: «Alle können etwas für die Förderung der Vögel unternehmen. Dazu reicht es schon, die eine oder andere Mikrostruktur im Garten oder am Haus anzubringen. Das wären beispielsweise geeignete Nistkästen, die man aufhängen kann, oder ein seichtes Vogelbad.»

Weitere Infos finden Sie beim Verein Vogelschutz Chur.

Vogellaute lauschen

Bilder: Jürg Hosang | Grafik: Lorena Tino