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War das ein Erlebnis

Bernhard Petschen nimmt Kinder und Jugendliche mit in den Bündner Wald

Jupii, liebe Kinder. Endlich hat es geschneit. Ich habe bereits meine Bretter, ich meine die lässigen Ski, die Schlittschuhe und den Schlitten benutzt. Mama meint, dass der Winter für manche Menschen Ruhe und Erholung symbolisiert, aber auch ein Gefühl von Freiheit und Abenteuer. «Abenteuer?», frage ich Mama. «Ja, jetzt hat bereits die Zeit der Variantenskifahrerinnen, der Schneeschuhwanderer und der alpinen Hochtouren angefangen. Und das alles zum Nachteil der Wildtiere, die im tiefen Wald ihre Ruhe haben wollen», seufzt Mama.

Mein Lieblingsfach Naturkunde

James will Gassi gehen. Brrr, ohne Schal, Mütze und Handschuhe traue ich mich kaum noch, aus dem Haus zu gehen. Ich denke oft an die schönen Wildtierbeobachtungen, die ich im Herbst mit Papa erleben durfte. Jetzt haben sich die Tiere tief in den Wald zurückgezogen und Mama meint, dass die kurzen Tage und die Fortbewegung bei hoher Schneelage stark an den Kräften der Wildtiere zehren. Ja, bei extremer Kälte müssen die armen Tiere die langen Wintermonate überstehen. Dass die Wildtiere jetzt absolute Ruhe brauchen und ich und James nicht im Wald spazieren dürfen, ist für mich selbstverständlich. Wenn, dann nur auf den markierten Wegen, meint Mama. Da ist sie sehr streng, und ich halte mich auch daran. In der Schule hat unsere Lehrerin (psst, sagt das aber nicht weiter: Ich glaube, ich bin schon ein bisschen in sie verknallt) von Wildruhe- und Wildschutzzonen erzählt. Unsere Hausaufgabe war, zu überlegen, wie die Wildtiere – ob gross oder klein – die eisigen Temperaturen überleben können. Dazu hat unsere Lehrerin die Schulungsunterlagen vom Bund «Schneesport mit Rücksicht – Respektiere deine Grenzen» verteilt.

Die armen Wildtiere …

Meine Eltern helfen mir immer bei den Hausaufgaben, aber auch sie wissen nicht alles, aber fast alles. Papa weiss viel über Flora und Fauna. Das hat er von meinem Opa gelernt. Und Papa bringt es mir bei. Papa erklärt, dass das einheimische Wild die Fähigkeit besitzt, den Pulsschlag und somit den Grundumsatz auf das gleiche energiesparende Niveau herunterzufahren wie ein Winterschlaf haltendes Wildtier. Hart betroffen sind vor allem Pflanzenfresser wie Hirsche, Gämse, Rehe und Steinböcke. Die kräfteraubende Fortbewegung im Schnee und der Nahrungsmangel veranlassen sie, tiefere Lagen aufzusuchen, um den Winter in klimatisch besseren Gebieten zu verbringen, wo es gute Fress- und Ruheplätze gibt und sie vor Lawinen oder Feinden geschützt sind. Vor allem die älteren Wildtiere verfügen über einen besonders guten Instinkt und führen die ganze Familie dorthin, wo es genügend zu fressen gibt. Meist handelt es sich um ruhige Waldgebiete in Hanglagen, wie zum Beispiel bei uns in Chur auf der anderen Seite vom Rhein, am Calanda, wo sich das Wild tagsüber zurückzieht. Auf den nahegelegenen Feldern findet das Wild in der Nacht genügend Futter. Die Tiere müssen ausreichend Futter finden und sich dabei wenig bewegen, damit sie möglichst schonend mit ihren Kraftreserven umgehen können. Darum ist es für uns Menschen wichtig, die Wildruhezonen einzuhalten. Die Ruhe hilft ihnen, wertvolle Energie zu sparen, sagt Papa. Nun, das genügt. All das muss ich noch für mein Referat aufschreiben. Schliesslich will ich ja gute Noten haben.

… brauchen einfach Ruhe

«Mama, gehen wir heute noch im Wald spazieren? Dort können wir zusammen mit Papa eine Schneeballschlacht organisieren! Mir ist so langweilig.» Soll ich euch sagen, was Mama gesagt hat? Sie gibt mir zwei Tage nichts zu essen, dann weiss ich, warum man nicht in den Wald geht und die lieben Wildtiere stört. Und dass die armen Tiere im Winter besonders Mühe haben, Nahrung zu finden, weil viel Schnee ihre Nahrung abdeckt. An all das habe ich nicht gedacht, aber meine Mama weiss einfach (fast) alles … und Hunger habe ich jetzt auch. Mein Magen knurrt, aber zuerst muss ich mit James Gassi gehen.