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Vrieli hat ein Geschwisterchen bekommen

Bernhard Petschen nimmt Kinder und Jugendliche mit in den Bündner Wald

Liebe Kinder, ich muss euch unbedingt etwas über die Ereignisse der letzten Tage berichten. Fast alle meine Wildtierfreunde haben neue Geschwister bekommen. Vor allem am Morgen, wenn ich mit James spazieren gehe, treffe ich oft Wildtiermamas, die andauernd die Nase nach dem Wind richten. Wisst ihr warum? Nun, das sieht zwar komisch aus, aber so können die Mamas ihren Nachwuchs von Weitem riechen und lokalisieren. Die jungen Wildtiere sind irgendwo am Waldrand im Gras, im Dickicht oder im Wald unter Sträuchern vor ihren Mamas versteckt. Liebe Kinder, wenn ihr wüsstet, wo überall die kleinen Wildtierchen versteckt sind, würdet ihr euch schon noch wundern.

Papa, warum jetzt?

«Warum bekommen alle Wildtiermamas im Frühling ihren Nachwuchs?», frage ich Papa. «Frühlingszeit ist Nachwuchszeit und die meisten Wildtiere bekommen dann ihren Nachwuchs», meint Papa, «denn wenn die Wildtiere ihren Nachwuchs im Winter bekommen würden, würde der grösste Teil nicht überleben, da es viel zu kalt wäre. Hast du das verstanden, Mattis?» Ach ja, jetzt kommt es mir wieder in den Sinn, die Rehmama von Vrieli hatte auch einen richtigen dicken Bauch und war nur noch selten zu sehen. Papa erzählt weiter, dass die Wildtiermütter einen sicheren Ort aufsuchten, wo sie ihre Jungen ungestört zur Welt bringen könnten. Er meint auch, dass das ein Kreislauf sei, der jedes Jahr stattfindet. Vor allem ist es traurig zu wissen, dass einige Wildtierbabys nicht überleben, weil sie zu schwach sind, andere werden von den Füchsen, vom Wolf oder vom Luchs aufgefressen und andere, na ja. «Da ist der Mensch auch schuld daran», meint Papa. Die grösste Gefahr besteht darin, wenn wir ein Rehkitz auf der Wiese antreffen, dass wir es mit blossen Händen streicheln wollen. Denn der direkte Körperkontakt kann dazu führen, dass das Kitz einen fremden Geruch annimmt und infolgedessen von der Wildtiermama nicht mehr angenommen wird. Also, liebe Kinder, Hände weg, wenn ihr ein Kitz oder Kalb seht. Und benachrichtigt eure Eltern.

Bambi ist kein Reh …

Bambi? Natürlich kennen wir Bambi aus Filmen, Fernsehen und Büchern, wie das niedliche Wildtierbaby im Wald spielt und rumhüpft. Mit seinen sanften Augen, der Stupsnase und dem weichen Fell rührt es nicht nur die Herzen von uns Kindern, sondern auch von den Erwachsenen.

Doch bevor Bambi ein schöner Hirsch wird, muss er noch einige schwere Hürden überstehen. Hirsch? Warum kein Reh? Liebe Kinder, nun versteht ihr sicher überhaupt nichts mehr, oder? Aber das erzähle ich euch am Schluss der Geschichte, denn auch hier hat mein Papa mir die Augen geöffnet. Also, wenn die Zeit reif ist, legt die Rehmama die herzigen Rehlein einzeln und in gewissen Abständen voneinander im Wald oder auf einer Wiese ab, wo sie keine Gefahr befürchten müssen. Letzte Woche hat die Rehmama von Vrieli das süsse Rehlein nicht weit von uns zu Hause zur Welt gebracht. War ich erschrocken, als ich das neugeborene Rehlein auf meinem Spaziergang im Dickicht sah. Es konnte noch nicht gut laufen, aber bereits eine Woche später sind wir schon um die Wette gelaufen.

Aber nun muss ich euch noch erzählen, warum die kleinen Kitze und Kälber so ein geflecktes Fell haben. Das ist sehr einfach: Sie passen sich ideal der Natur an. Die Tarnzeichnungen des Fells in den ersten Lebenswochen sichern das Überleben der Jungtiere. Somit werden Raubtiere nicht auf sie aufmerksam. Diese punktierte Fellfarbe verlieren sie im Laufe der Zeit. Nähert sich der Feind dem Kitz, drückt es sich fest auf den Boden und bleibt regungslos liegen. Machen wir Menschen das nicht auch, wenn Gefahr besteht? Papa meint auch, dass die Kleinen fast keinen Eigengeruch haben, weil die Wildtiermamas ihre Kleinen mit ihrer Zunge abschlecken, darum sind sie für die Raubtiere geruchslos. Oft sind die Kleinen alleine, weil die Mamas auch fressen müssen, damit sie Milch geben können. Papa lacht und sagt, dass auch ich als Baby monatelang Mamas Milch getrunken habe. Igitt, aber jetzt bin ich gross und stark und Milch, na ja, die brauche ich schon lange nicht mehr.

… sondern ein Hirsch

So, und jetzt bin ich euch noch eine Antwort schuldig. Bambi ist nur eine Zeichentrickfigur. Der Hollywood-Produzent hatte bei der Filmvorbereitung keine Ahnung von Wildtieren. Bambis Papa ist im Film ein recht stattliches Hirschtier und die Mama wird als niedliche Rehmutter dargestellt. Das stimmt nicht. Die Rehmama ist auch nicht die Frau vom Hirschtier. Bambi ist ein kleines Hirschkalb, also kein Rehkitz. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Apropos! Mama hatte auch einen dicken Bauch. Jetzt muss ich rasch nach Hause. Vielleicht habe ja auch ich ein neues Geschwisterchen bekommen.