Durchstarten
Weisser Dunst fliesst aus der Nebelmaschine. Die Lichter leuchten hell in den dunklen Raum hinein. Violet, rot, blau, weiss. Die Bühne voll mit Technik und Talent, davor Menschen, die sich im Takt bewegen. Es wird gesungen, getanzt, gehüpft. Die Musik in all ihren Facetten gefeiert. Die Musik von jungen Künstlerinnen und Künstlern. Die Musik von Secret Tension, Cluez, Anik und Dr. Dipshit zum Beispiel. Es ist der Nachwuchswettbewerb «bandXost», für die jungen Musikschaffenden aus Graubünden ein erstes Sich-Zeigen. Für viele der Bandmitglieder sind es die ersten Auftritte vor Publikum überhaupt. Die Stimmung ist grossartig. Euphorisch. Magisch. Auch ein paar Wochen später, als die jungen Menschen vor ihren Bildschirmen sitzen und der «Büwo» davon erzählen. Es ist Mitte Dezember. Zeit, um zu reflektieren. Das Erlebte Revue passieren zu lassen. Und sich über Anfänge Gedanken zu machen.
«Wir stehen tatsächlich noch ganz am Beginn», meint Joshua Bergamin, der Drummer des Elektropop-Duos Anik. «Wir haben aufs ‘bandXost’ hingearbeitet und wollen jetzt so richtig loslegen», bestätigt seine Musikpartnerin Anik Casutt. Der Contest sei ein wichtiges Sprungbrett gewesen. Durch die Möglichkeit, live und vor Publikum zu spielen, hätten sie gesehen, wie sie ankommen und wo sie als Band stehen, meinen die beiden. Auch Secret Tension steht noch ganz am Anfang. Die drei jungen Männer und die Sängerin Vanessa Rest haben die Band im April 2021 gegründet. «Obwohl wir uns erst seit Kurzem kennen, sind wir menschlich im Bandprozess schon sehr weit. Es hat von Anfang an gerockt, wenn wir zusammen Musik gemacht haben», meint Bassist Dominique Ackermann. Sie hätten sich ebenso musikalisch recht schnell gefunden. «Auch wenn es noch nicht perfekt ist.» Und auch wenn ihr Stil nicht in einem Wort zu beschreiben ist.
Secret Tension
Secret Tension besteht aus Sängerin Vanessa Rest, Gitarrist Dani Duschletta, Bassist Dominique Ackermann und Schlagzeuger Silas Lügstenmann. Die vier musizieren seit rund einem Jahr gemeinsam. Ihren Musikstil können sie schlecht beschreiben. Am ehesten sei es ein Mix aus Pop, Rock, Funk und Soul. Im Finale des «bandXost» belegten sie den 4. Platz.
Schon etwas länger macht Nando Kluser Musik. Der Parpaner ist Solokünstler und macht vorwiegend Hip-Hop. Vor vier Jahren brachte er seinen ersten Song raus. «So richtig ernst nehme ich es aber erst seit zwei Jahren. Ich versuche, möglichst viel mitzunehmen. Weil es mir Spass macht. Im Rahmen von ‘bandXost’ spielte ich mein erstes Konzert.» Auch die Band Dr. Dipshit gibt es schon etwas länger. 2019 finden sich vier Jungs zusammen und gründen eine Punkrockband. Seither ist viel passiert. Von den Gründern ist nur noch Leadsänger Jamie Brüesch übrig geblieben. Und mit dem Wechsel der Mitglieder hat sich auch das Repertoire der Band erweitert. «Wir spielen heute vermehrt Alternative Rock und Grunge», erklärt Jamie Brüesch.
So unterschiedlich die jungen Musikschaffenden und ihre Musik sind, umso mehr haben sie gemeinsam. Weit mehr, als ihre Heimat. Das zeigt sich im Gespräch schnell, vor allem, wenn es darum geht, warum sie überhaupt erst mit der Musik angefangen haben. Viele musizieren schon von klein auf. Waren in der Rhythmik, im Flötenunterricht, spielten in verschiedenen Bands und Formationen. Und drücken sich durch und mit der Musik aus. Dennoch brauchten sie alle einen Anstoss, die Musik so richtig ernst zu nehmen. Rapper Cluez kommt nicht aus einer musikalischen Familie, hat aber schon immer gerne Musik gehört. Lange kam erst der Fussball und danach der Hip-Hop. Die Maturitätsarbeit war dann der Grund, es zu probieren. Einen Song zu schreiben, ihn einzuspielen und aufzunehmen. «Das war der Anstoss, es wirklich zu machen und nicht immer nur darüber zu sprechen, dass es cool wäre.» Seither sei ein Hunger da, den er zu stillen versuche. Für Anik war es der Moment, als Anik und Josh sich kennenlernten. «Ich habe schon immer Musik gemacht und gehofft, dass ich eines Tages jemanden treffe, der meine Leidenschaft teilen kann», erklärt die Sängerin des Duos. Auch bei Secret Tension sei der gegenseitige Support wichtig gewesen. «Und auch der Druck, dass ein Auftritt bevorsteht. Dass man etwas leisten und dafür ein Feedback bekommen möchte – natürlich kein Schlechtes», so Dominique Ackermann. Gitarrist Dani Duschletta ergänzt: «Die Freude an der Musik war genau so wichtig.» «Der Zusammenhalt», meint Sängerin Vanessa Rest. «Und dass wir immer einen Raum zum Proben gefunden haben», schliesst Schlagzeuger Silas Lügstenmann. Bei Dr. Dipshit war ebenfalls die Unterstützung innerhalb der Band sehr wichtig. Aber auch, dass man Geduld hat und sich Zeit gibt. «Am Anfang hat man immer sehr hohe Ziele. Man will 1000 Streams auf Spotify. Oder gleich ein ganzes Album produzieren. Das braucht Geduld und Zeit. Und es braucht eben auch Geduld im Umgang mit den anderen Bandmitgliedern», so Jamie Brüesch. Bassist Matti Straub ergänzt: «Man muss offenbleiben. Bei so vielen verschiedenen, kreativen Menschen, die ihre eigenen Vorstellungen haben.»
Cluez
Cluez heisst mit bürgerlichem Namen Nando Kluser. Der 21-Jährige kommt aus Parpan und hat sich dem Hip-Hop verschrieben. Hin und wieder mixt er Rap mit anderen Musikrichtungen. Cluez macht seit 2017 Musik und rappt auf Englisch. Beim «bandXost» gewann er in der Vorausscheidung im Loucy in Chur den Publikumspreis.
Zu beginnen, in der Musikszene Fuss zu fassen. Sich trauen, mit der eigenen Kunst rauszugehen – gar nicht so einfach. «Das ist das Schwierige am Newcomer-Sein. Man muss sich erst beweisen», fasst Dani Duschletta von Secret Tension zusammen. Aber die Szene sei offen. Alle berichten von offenen Armen und Ohren. Von Kunstschaffenden, die sich mit und über andere freuen. «Ich meine, wie willst du Musik beurteilen? Das ist ‘huara’ schwierig.»
Schwierig ist es auch, den richtigen Anfang für einen Song zu finden. Denn, und da sind sich alle einig, der Anfang ist enorm wichtig. Er entscheidet, ob die Zuhörerinnen und Zuhörer dran bleiben. Jamie Brüesch von Dr. Dipshit studiert Filmwissenschaften. Und hat dazu gleich einen Vergleich: «Wenn du einen Film schaust und er dich nicht in den ersten zehn Minuten packt, stellt man ihn aus. Genau so ist es bei einem Lied. Wenn die ersten 15 Sekunden nicht catchen, klickst du weiter.» Auch Secret Tension sagen, dass sie sich um den Anfang eines Songs viele Gedanken machen. Arbeitet man mit einem Intro oder ohne? Wie spielen alle Instrumente zusammen? Wann kommt der Gesang dazu?
Ein Song entsteht. Ein wichtiger Prozess. Bei Cluez beginnt der fast immer mit einem Beat. «Den höre ich und dann bekomme ich eine Idee, einen Vibe. Und ich weiss, was ich dazu sagen will.» Auch bei Anik beginnt der Song mit einer Stimmung. Anik Casutt beschreibt es als magischer Moment. Oft sei es eine Zeit, in der sie sich viele Gedanken mache. Zum Verarbeiten schreibe sie. Dazu ein paar Akkorde, und das Songgerüst steht. Damit gehe sie zu Josh. «Ich gebe das Schlagzeug und die elektronischen Beats dazu. Et voilà», so Joshua Bergamin. Auch sie beide finden den Anfang wichtig – aber nicht nur. «Gute Songs haben eine Linie, damit die Zuhörerinnen und Zuhörer nachkommen. Das ist wichtig, auch wenn wir versuchen, uns mit unserer Musik vom Mainstream abzuheben», so die Sängerin des Duos.
Dr. Dipshit
Dr. Dipshit ist eine Punkband aus Graubünden. Mittlerweile machen die Jungs auch Alternative Rock und Grunge. Die Band besteht aus Leadsänger Jamie Brüesch, Bassist Matti Straub, Gitarrist Henri Maurer und Drummer Elio Banzer. Die Band gibt es seit 2019, von der ursprünglichen Besetzung ist jedoch nur noch Jamie Brüesch dabei.
Wie man etwas anfängt, wissen die jungen Musikerinnen und Musiker. Sie beginnen gerne, sind offen. Und wann haben sie zuletzt etwas zum ersten Mal gemacht? «Ich war letztens zum ersten Mal als Zuschauer bei einem Silvesterlauf», beginnt Dominique Ackermann. «Und ich habe an einem Silvesterlauf teilgenommen», ergänzt Vanessa Rest und lacht. Es wurde zum ersten Mal Kaffee getrunken. Ein professionelles Schlagzeug gekauft. Ein Bassverstärker zugelegt. Das erste Konzert oder zum ersten Mal mit In-Ear-Monitoring auf einer Bühne gespielt. Kleine und grosse erste Male. Schöne Momente.
Momente, von denen die Bands nicht genug bekommen können. Sie erzählen von Träumen und Zielen. Davon, was sie mit ihrer Musik erreichen wollen. «Gas geben, Musik produzieren, schöne Konzerte spielen», zählt Joshua Bergamin auf. «Mit der Musik das sagen, was man in sich hat», ergänzt Anik Casutt. Dominique Ackermann spricht seine Bandkollegen und seine Bandkollegin an: «Ein grosses Ziel haben wir gar noch nie gemeinsam besprochen, oder? Wir machen einfach unsere Musik. Aber klar. Es gibt nichts Geileres, als auf einer grossen Bühne zu stehen. Und wenn dann im Publikum noch mehr als zehn Leute stehen und unsere Musik feiern, macht das natürlich Laune.» Vanessa Rest nickt. «Ich wünsche mir auch, dass wir nicht nur für die anderen Musik machen, sondern es immer auch machen, weil wir es gerne tun.» Dr. Dipshit wünscht sich dasselbe. Mehr zu kreieren, mehr Musik zu machen. Und die Zeit mit der Band zu geniessen. «Ich wünsche mir, dass wir noch ein paare Jahre professionelle Vollidioten bleiben dürfen», meint Jamie Brüesch. «Einfach for the hell of it. Für den Spass», so Matti Straub. Und Cluez? «Mein Ziel ist, irgendwann von der Musik leben zu können. Ich wünsche mir, dass meine Musik die Welt bereist. Wenn ich dabei sein könnte, wäre das umso schöner.»
Anik
Anik ist ein Musikduo aus Graubünden. Es besteht aus der Sängerin Anik Casutt und dem Drummer Joshua Bergamin. Der Stil von Anik lässt sich als Dark/Electropop beschreiben. Einflüsse von Künstlerinnen wie Billie Eilish oder Tash Sultana sind nicht zu überhören. Das Duo erspielte sich im Finale von «bandXost» den dritten Platz.
Na dann – gute Reise. Mit feinem Dunst aus Nebelmaschinen, vielen grellen Lichtern und einem glücklichen Publikum, das die Musik und die Musizierenden feiert, die auf der grossen Bühne stehen. Auf Newcomer, Neuanfänge und das Ziel durchzustarten.