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400 Stutz in den Sand gesetzt – aber für was?

Egal, wie lang der Arbeitsweg ist – man trifft unterwegs immer wieder auf skurrile Persönlichkeiten oder schnappt ungewollt kuriose Gesprächsfetzen auf. Von diesen Momenten berichtet diese Kolumne berichten.

Reist man von Landquart nach Chur, hat man die Wahl zwischen verschiedenen Zugverbindungen. Am ehesten kommen oftmals die S12 (Thurbo) und die S1 (RhB) infrage. Kürzlich wählte ich Letztere, da ich nicht in die Bündner Hauptstadt, sondern nur nach Landquart Ried zu reisen hatte. Gemäss Fahrplan dauert diese Reise zwei Minuten. Doch was ich in dieser kurzen Zeit alles erlebte, das möchte ich Ihnen nicht vorenthalten.

Ich betrat den Zug und merkte schnell, dass da sogenannte «Bad Vibrations» herrschten. Zwei männliche Zeitgenossen, wohl zwischen 30 und 40 Jahre alt, unterhielten sich angeregt. Die Lautstärke ihres Gesprächs dürfte über dem Schweizer Mittelwert gelegen haben, sodass ich glücklicherweise auch vier Abteile entfernt fast jedes Wort auf die Silbe genau verstehen konnte.

Der eine Herr wirkte etwas ruhiger und hatte nur ein geringes Mitteilungsbedürfnis. Der andere hingegen schien in Rage zu sein. Immerhin: Dank des Zuggesprächs konnte er einen Teil seiner Aggressionen abbauen.

Nun, ganz alles bekam ich vom Gespräch nicht mit. Doch offenbar holte der Lautstärkere «immer bei ihm ihn Ems, Mann». Doch letztes Mal habe der andere nur das Geld – «400 Stutz, Mann» – kassiert und sei abgehauen. Wie Sie merken, artikulierte sich der Sprechende geschickt und paraphrasierte gekonnt, indem er ganz keck hinter jeden Satz das Wort «Mann» stellte.

Nun stellt sich die Frage, welche Waren er in Ems zu beschaffen pflegte und wer «er» ist. Letztere Frage liess sich bis zum Schluss nicht beantworten. Immerhin schien der Votant ihm zahnärztliche Dienstleistungen erfüllen zu wollen. Denn er merkte an, dass man ihm «einfach mal die Fresse polieren müsse». Erfreulich, dass auch in der heutigen Zeit die Kariesprophylaxe noch eine Bedeutung hat und er um die Beisserchen seines Geschäftspartners besorgt ist.

Leider lässt sich auch die Frage nach dem «Was» nur schwer beantworten. Vielleicht Schoggigipfeli? Persönlich mag ich dieses Gebäck sehr, doch erscheint es mir etwas abstrus, dass man diese Köstlichkeiten im Wert von 400 Franken zu beschaffen gedenkt. Rechnet man nämlich mit einem Preis von zwei Franken und fünfzig Rappen pro Schoggigipfeli, käme man auf 160 Stück. Auch wenn der in Rage geratene Herr leicht adipös aussah, einen derart hohen Konsum an diesem Gebäck hätte ich ihm nicht zugetraut. So lassen wir auch diese Frage offen und widmen uns dem weiteren Gesprächsverlauf.

Und hier zeigte sich, dass der Gesprächsführende über viel psychologische Fachkompetenzen verfügt. Er befand, dass man nicht immer «nett» sein solle, sondern seine Aggressionen auch mal ausleben müsse. Wie wahr! Doch scheint auch er schon die Büchse der Pandora geöffnet zu haben, denn in durchaus böswilligem Ton merkte er noch einige Male an, man müsse «ihn» verprügeln. Ich bin fast geneigt, in diesem Zusammenhang das Wort «Schimpftirade» zu verwenden. Mehrere Male machte der Sprechende nämlich seinem Unmut Luft.

Von einer Einmischung in das Gespräch sah ich ab. Denn einerseits konnte ich seine Aggressivität noch immer nicht ganz nachvollziehen, andererseits musste ich das Schienenfahrzeug nun verlassen. Wie weit der gute Herr noch gereist ist und ob er seine Energien anschliessend in geordnete Bahnen lenken konnte, entzieht sich meiner Kenntnis. Hoffen wir, er konnte sich noch mit einem Schoggigipfeli verpflegen und entsprechend gefühlsmässig in ruhigere Gefilde übertreten. Und auch das «Fresse polieren» hat er hoffentlich einer entsprechenden Fachperson überlassen.