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(Un)glücksort

Über Bellaluna: Erstes Industriezentrum Graubündens, Innovationsort und Platz für Geschichten

Die Strasse Richtung Albulapass ist gut befahren an einem hochsommerlichen Mittwochnachmittag. Vor allem von Töfffahrerinnen und Töfffahrern, die mit ihren Maschinen die Kurven bezwingen. Wir sind aber nicht wegen der Töffs oder der Passstrasse da. Wir gehen auf Spurensuche. Auf Spurensuche im Parc Ela. Der zugehörige Verein lädt diesen Sommer nämlich dazu ein, archäologische Bodenschätze zu entdecken.
Dinosaurierspuren, frühmittelalterliche Malkunst oder Überbleibsel der Römer zum Beispiel. Es gibt viel zu entdecken im Naturpark. So auch das erste Industriezentrum Graubündens. Genau dieses wollen wir besuchen. 

Für eine kurze Zeit folgen wir den lärmenden Motoren. Schnell biegen wir ab und parkieren das Auto am Flusslauf der Albula. Das monotone Rauschen begleitet die Begrüssung von Hans Stäbler, Vorstandsmitglied der Freunde des Bergbaus. Er, gekleidet in Tarngrün und praktisch angezogen, weist beinahe militärisch in den Schatten. Diesen verlassen wir schnell wieder. Über eine kleine Brücke queren wir die Albula und stehen vor einem grossen, herrschaftlichen Haus. Irgendwo im Nirgendwo. So scheint es. Hans Stäbler grinst. «Willkommen in Bellaluna», sagt er und zeigt um sich. Viel sei leider nicht mehr vorhanden vom ersten Industriezentrum Graubündens. Das grosse Haus, das ehemalige Direktionsgebäude hat sich, zumindest von aussen und auf den ersten Blick, gut gehalten. Von den Stallungen sind nur die Grundmauern übrig geblieben. Jetzt parkt ein Auto dort, wo früher die Pferde standen. 

Hans Stäbler nimmt ein laminiertes Blatt hervor. Darauf eine Karte mit Pfeilen und einem roten Kreis. «Warum ist in Bellaluna ein Industriezentrum entstanden?», fragt er und gibt die Antwort gleich selbst. Wasserkraft sei nötig gewesen. Neben der Albula kommt diese vor allem vom Stulserbach, der mit grossem Gefälle und hohem Druck durch das gleichnamige Tobel jagt. «Dazu brauchte man weitere Energie», meint der Experte und zeigt um sich. «Wir haben hier ein sehr grosses Waldaufkommen. Das war die zweite Voraussetzung. Und man benötige auch metallhaltiges Gestein, sprich Erz. Dieses fand man im Val Tisch bei Bergün, vor allem aber im Silberberg bei Davos Monstein», weiss Hans Stäbler. Das Einzige, was es im Tal nicht gab, waren Fachkräfte. Und so musste man diese aus dem Ausland holen. «Insofern war der Standort von Bellaluna auch optimal, weil man hier genügend Abstand zu den Ortschaften hatte. Denn meist sprachen die Leute aus der Fremde eine andere Sprache, praktizierten ein Handwerk, das die Einheimischen nicht kannten, und hatten dazu noch einen anderen Glauben.»

Bellaluna sei schon immer ein besonderer Ort gewesen. Ein Glücksort für Innovation – Hans Stäbler berichtet begeistert vom damals topmodernen Ofen für die Eisenschmelze –, aber irgendwie auch immer ein Unglücksort. Der fröhliche Mann, selbst nicht abergläubisch, berichtet von Überschwemmungen und Feuersbrunst, aber auch von einem Mord und Suiziden. «Hier ist viel passiert. Irgendwie hat dieser Ort einen Unglücksnimbus», meint er, als wir erst die Albula und dann die Passstrasse queren.

Ob der Strasse stehen die Überbleibsel der einst grossen und wichtigen Öfen des Industriezentrums. Eisen, Blei und Kupfer wurden hier aus dem Gestein gelöst. An der Ruine hat Hans Stäbler eine Wäscheleine befestigt und daran laminierte Blätter aufgehängt. Sie erzählen zusammen mit dem Filisurer Geschichten aus einer anderen Zeit. Man könnte beiden stundenlang zuhören. Und doch schweifen die Gedanken ab an diesem besonderen Ort. Auch der Blick schweift umher. Hinauf in den Wald, hinab zur Albula, entlang des alten Mauerwerks. Irgendwie scheint es schräg. «Wir haben das Mauerwerk vor wenigen Jahren gesichert, sodass es nicht weiter kippt oder gar umfällt», sagt Hans Stäbler nicht ohne Stolz und holt uns in die Gegenwart zurück. Das Geld sei hauptsächlich von privaten Bergbauinteressierten gekommen. Für sie ist Bellaluna wohl kein Unglücksort. Viele andere lässt das einstige Glanzstück der Bündner Metallverhüttungsindustrie dann aber doch mit einem mulmigen Gefühl zurück. «Das kann ich schon verstehen», meint der Experte, wartend, bis er ohne Töfffahrer die Strasse überqueren kann. 

Weitere Programmpunkte der Sommerreihe des Parc Ela: 10.8. von 17 bis 18.30 Uhr, Funde des Gefechts gegen die Römer (Salouf) und am 13.08. von 9.45 bis 16 Uhr, akustische Wanderung zur Porchabella.
Weitere Informationen unter 
www.parc-ela.ch/sommerreihe.